
Thematisierung
Cluster Images und die Explosion einer urban erdachten Kunst
Bereits realzeitlich mit den ersten Versuchen, Leistungen aus kontextuellen kuenstlerischen Arbeiten dokumentarisch zu sichern, konnte die
Aneignung und Zurschaustellung eben solcher Werke durch gezielte institutionelle Vereinnahmung beobachtet werden.
1 Die der Kontextkunst eigene subtile Problematisierung von Kunstgrenzen war argumentativ wieder zur
Kunstgrenze stilisiert worden, und mit der daraus notwendigerweise abzuleitenden Selbstbezueglichkeit von Kunst - um deren dezidierte
Infragestellung es offensiv doch gegangen war - wurde verallgemeinernd der Praesentation kuenstlerischer Produktion das Areal
kuenstletischer Selbstgenuegsamkeit wiederum zugewiesen .2 Wer ausgezogen war, den kulturell komplexen
Spuren von Kunstwerken zu folgen, hatte das Fuerchten lernen koennen angesichts der Machtkaempfe um Zustaendigkeiten, Maerkte und
Foerdermittel. Nur der Idylle blieb die Utopie und allein der Utopie eignet die Idylle.
Waehrend also in den kontextuell bereits erschlossenen Grenzbereichen von Kunst, (reflektierend Methoden und Ergebnisse
beispielsweise der Soziologie, der Ethnologie, Anthropologie, Oekonomie und Oekologie) die Frage nach der Notwendigkeit von Bildern oder
deren Elementen situationsbezogen und kognitiv sich hatte ableiten und bearbeiten lassen, geronnen zeitgleich im Spiegelkabinett der
betriebssystematischen Kunst methodische Reflexionen zu perpetuellen und sich selbst steuernden Techniken. Mit jenen der Adaptronik
vergleichbar, differenzierten sie nicht mehr um zu unterscheiden, sondern um zu "internalisieren", also anzupassen .
3
Konsequenterweise geriet das Betriebssystem Kunst mit seinem Management in eine Krise, deren gesellschaftspolitische Ursache ganz einfach
einem Argumentationsnotstand entsprang. Denn wie sollten sinkende Besucherzahlen, vereinfacht als fehlendes Interesse umgedeutet, die steigenden Kosten,
die ambitionierten Plaene und die eigene Etablierung rechtfertigen, wenn gleichzeitig von grundsaetzlichen Erfolgen der propagierten kulturellen Einbettungsstrategie
nicht die Rede sein konnte. In der Not gelang aber die apparative Anpassung und, planvoll und gestuetzt von den neuesten Technologien, die Wende, anteilig dann
umsatzorientierte Marktstuetzung zu betreiben. Der Boom der virtuellen Welten, "spin off" militaerstrategischer Technologien, verzauberte, zumal sich auch in der Kunst
das erst seit dem Klassizismus gebrochene Verhaeltnis zur Technik erneut rekonstituierte. 4 Durch eine fast euphorisch adaptierte
Technologisierung aktivierte sich in der Postavantgarde die Hoffnung, nicht mehr Bilder aus der Realitaet, sondern fuer die Realitaet herstellen zu koennen.
5 Die Fragen um Notwendigkeit, Referenzialitaet und das Unterscheidungsvermoegen von Bildern waren damit erneut sozial entkoppelt
und konnten, der wiederum indivduell virtuellen Welt zugeordnet, ausgesetzt werden. 6
Demgegenueber konnte Mike Davis 7 erfolgreich nachweisen, wie solche Ueberlegungen ueber die rein kulturpolitischen Argumente
hinaus zu wirtschaftlichen und folglich dann urbanen Konsequenzen fuehren und wie die Umstrukturierung der Metropolen ursaechlich geknuepft ist an gezielte Viertelbildungen,
die Ghettoisierung und die Ausgrenzung von Bevoelkerungsgruppen. Die Aufsplitterung der Innenstaedte in pseudoautonome Funktionsbereiche, urbane Cluster,
zergliederte den internen Stadtraum, wodurch staedtische Randlagen an Bedeutung gewannen. Die Theorie betreffend kann man mit Deleuze 8
und Serres 9 sagen, dass als Folge von Ausdifferenzierung an den Raendern von Systemen die Uebergaenge zwischen Differenz und Wiederholung
fliessend sind, d.h., Unterscheidungen waeren dort zwar notwendig, sind aber als Referenz zum gesamten System unmoeglich. Wenn interne Ausgrenzungen die Homogenitaet des
urbanen Modells auch kulturell zerstoeren, strebt zeitgleich als Ergebnis ausdifferenzierender Selbstbezueglichkeit die aeussere Begrenzung des Modelles gegen unendlich, genauer,
sie ist nicht mehr hinreichend beschreibbar. Die so entstandenen Cluster bilden auseinanderdriftende und nicht mehr integrative Unterscheidungen und sind Hinweise auf die
Thermodynamik einer Gesellschaft und begruenden, gruppiert, die Kultur des "crossover".
Die 2. Werkleitz Biennale hat sich fuer die Praesentation ihres Themas Cluster Images also durchaus bewusst abseits der Staedte begeben, um fern institutionalisierter
Repraesentationspflichten sowohl den gesellschaftspolitischen Diskurs ueber die Funktion von Kunst weiterbetreiben zu koennen - was der klassischen Begruendung von Kulturarbeit
entspraeche - als auch die aus urbanen Abhaengigkeiten entstandenen Bilder jenseits der Orte zu zeigen, durch die sie zum Verschwinden gebracht werden, den Ghettos der Kunst.
Das durch eine internationale Ausschreibung und eingeladene Beitraege zusammengestellte Programm versucht sowohl historische Referenzen des Themas zu praesentieren, als auch
deren Aussagekraft mit den gerade erst fuer das Festival entstandenen Werken fortzuschreiben. Umgekehrt wird durch die Praesentation der Arbeiten deutlich, welche
Korrekturen und Kritiken zu entwickeln waren, um Cluster als eigenstaendigen Begriff zur Beschreibung transmedialer Bilder vorschlagen zu koennen.
Abseits vom Schein arbeitsteiliger Planlosigkeit, als der die urbane Kulturarbeit, sollte sie nicht bereits die Wende zur kulturgestuetzten Sozialarbeit vollzogen haben,
innerstaedtisch ueblicherweise denunziert wird, zeigt sich Cluster Images, zwischen Calbe, Tornitz und Werkleitz, als sehr planvolle Buendelung von Bildern, Filmen,
Videos, Performances und Installationen. In einer offenen Absprache mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Biennale konnten fuer jeden Beitrag jeweils Ort, Raum und Geschichte
gefunden werden, die als Position jeweils unterschieden vom staedtischen Ambiente, einen neuen Stellenwert kuenstlerischer Arbeit aufweisen koennen: die Situation des "open speech".
Deren Rhetorik folgt, wie Foucault 10 zeigte, sehr eigenen Gesetzmaessigkeiten und fordert jene Praesenz von Geschichte, die in einer Phase
strukturellen Wandels mit enormen sozialen Einschnitten hier in Sachsen-Anhalt tagesaktuell ist. Und sie ist wiederum nirgends aktueller, als auf dem Land.
Das Festival wagt weiter das Experiment, die Ansaetze diskursiver und multimedialer Bilder parallel darzustellen, um referenziell einen neuen Bezugsraum zu erkunden: den Raum
multifunktionaler Vernetzung, der als Form relevant verdichteter Information ueber den spezifischen Kunstkontext hinaus auch neu zu diskutieren ist. So wurde schon bei der Auswahl
der Praesentationsraeume des Festivals eine aufgefaecherte Qualitaet fuer Funktionsumgebungen festgelegt, die zwischen genutzten Raeumen, wie den beiden Dorfkirchen,
dem Gebaeude der Werkleitz Gesellschaft und dem Gasthaus Zur Post, teilgenutzten, wie dem Bahnhof und dem Kulturhaus des ehemaligen Gelatinewerks in Calbe, sowie der
Kegelbahn in Werkleitz und ungenutzten, wie der Turnhalle des ehemaligen Metalleichtbaukombinats und der Konsumfiliale in Tornitz unterscheiden. Bewusst wurde sowohl
auf die Abgrenzungsmechanismen klassischer Kunstgattungen verzichtet, wie auch die Illusion des leeren Raumes, der "white cube" vermieden wurde. Auch fuer die Film- und
Videoprojektionen wurde auf einen im Ort vorhandenen einfachen Festsaal zurueckgegriffen, sodass selbst fuer diese Beitraege sich die Einbettung in situationsbezogene Konnotationen
ergeben kann.
Als entscheidender Anteil am Praesentationskonzept war schon zu Beginn der oeffentliche Raum definiert, durch den ueberhaupt erst die Bildung der Ausstellungsstruktur gegeben
wird. Die Hinweise dort auf Orte, Werke und Raeume repraesentieren jene neuere Version von Bildern, die sich die Problematik der eigenen Medialisierung offensiv zueigen
gemacht haben. Bis auf eine Ausnahme wurde keiner der fuer das Festival genutzten Raeume je vor der Nutzung durch die Werkleitz Gesellschaft fuer Ausstellungs- und
Projektionszwecke vorgesehen und das Kulturhaus in Calbe, das die Ausnahme bildet, ist heute entkernt. Alle Raeume wurden bis auf notwendige technische Sanierungen im
vorgefundenen Zustand belassen, sodass die kuenstlerischen Beitraege sich in jedem Fall mit der Modalitaet und dem Kontext ihrer Praesentation auseinandersetzen muessen.
Als dritter und von allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern gemeinsam genutzter Ausstellungsteil wurde ein Infocafe eingerichtet, in dem sowohl komprimierte und medial uebersetzte
Fassungen der Ausstellungen angeboten, als auch Informationsmaterialien ueber die Region und speziell ueber Werkleitz/Tornitz zur Verfuegung gestellt werden. So wird gleichzeitig zum
Ausstellungskontext der Versuch vorgestellt, vorhandene Informationen in ihrer Komplexion nicht allein nur kommentierend zu begleiten, sondern auch autonom verstandene
Informationsbuendel wiederum so zu praesentieren, dass die wechselseitigen Bedingungen dieser Informationen sichtbar, diskutierbar und darstellbar werden koennen.
11 Mit der im Infocafe vorgenommenen Dokumentation und Begleitung der Festivalereignisse im Internet und eben durch die situationsbezogenen
oeffentlichen Indexversionen der Ausstellungen wird selbst die Medialitaet des oeffentlichen Raumes zum kuenstlerischen Thema. Zeitgleich wird die Verschiedenheit der nutzbaren
Medien, die Rolle medialer Beschleunigung, die Selektionsprozesse medialer Verwandlungen und die Ebenen der oeffentlichen Verwertung zur Diskussion gestellt und damit eine
Praesentationsform propagiert, die ihre eigene Medialisierung nicht bloss geschehen laesst, sondern selber konstituiert. 12
Auch mit der Erscheinungsweise des Kataloges wird versucht, dem Thema gemaess adaequat zu publizieren. Als Loseblattsammlung konzipiert, ist er stetig erweiterbar und
ergaenzbar um Bilder der Situationen, die sich vor Ort und im speziellen Kontext erst ergeben haben. Cluster Images versteht sich als ein programmatisches Unternehmen, mit
dem der Indifferenz isolierter Informationen zu entrinnen versucht wird, um im Verlauf des Festivals Gruppierungen wie Felder darueber in Informationsbuendeln weiter entwickeln zu
koennen. 13 Als Arbeitsergebnisse erscheinen diese im Internet. In ihnen werden die Bilder des
Festivals, die Ausstellungen, die Performances und die Filme und Videos ihre Geschichte dann ebenso transportieren koennen, wie sie ihre Gegenwaertigkeit zur Diskussion gestellt
haben. Sie wuerden nicht mehr axiomatisch, sondern diskursiv und unterscheidungslustig gewesen sein.
Martin Conrath
1 vgl.: Stefan Germer, Unter Geiern. Kontext-Kunst im Kontext. In: Texte zur Kunst, Nr. 19, Aug. 95, S. 92 ff.
2 vgl.: beispielsweise die oeffentliche Rezeption der Hamburger (u.a.) Ausstellung Cindy Sherman - Photoarbeiten 1975-1995 In: Der Spiegel, Die Woche und taz. Dazu: Joerg Heiser, Cindy Sherman. Vom Kopf auf die Fuesse auf den Kopf. In: Texte zur Kunst Nr. 19, Aug. 95, S. 55 ff.
3 vgl.: Michael Lingner, Die Krise der "Ausstellung" im System der Kunst. In: Betriebssystem Kunst. Kunstforum Bd. 125, Jan/Feb 94, S. 182 ff.
4 vgl.: Horst Bredekamp, Antikensehnsucht und Maschinenglauben. Die Geschichte der Kunstkammer und die Zukunft der Kunstgeschichte. Berlin 1993
5 Peter Weibel, Kontextkunst. Zur sozialen Konstruktion von Kunst. In: Kontext Kunst, Koeln 1994, S. 1 ff.
6 vgl.: Hans Ulrich Gumbrecht, Wahrnehmung vs. Erfahrung oder die schnellen Bilder und ihre
Interpretationsresistenz. In: Zwischen Erinnern und Vergessen. Kunstforum Bd. 128, Okt/Dez 94, S.172 ff.
7 Mike Davis, City of Quartz, Berlin/Goettingen 1994
8 Gilles Deleuze, Differenz und Wiederholung, Muenchen 1992
9 Michel Serres, Hermes V. Die Nordwest-Passage, Berlin 1994
10 Michel Foucault, Diskurs und Wahrheit, Berlin 1996, S. 77 f. und S. 177 f.
11 vgl.: Dietmar Kamper, Das Bild als unmoegliche Gegenwart. Vom Aufhoeren der Theorie. In: Zwischen Erinnern und Vergessen. Kunstforum Bd. 128, Okt/Dez 94, S. 106 ff.
12 vgl.: Christian Hoeller, Fortbestand durch Aufloesung. Aussichten interventionistischer Kunst.
In: Texte zur Kunst Nr. 20, Nov. 95, S. 109 ff.
13 vgl. etwa: Pierre Bourdieu/Hans Haake, Freier Austausch, Frankfurt/M. 1995
und: Ulf Wuggenig, Rivalitoet, Konflikt und Freiheit. In: Texte zur Kunst, Nr. 20, Nov. 95, S. 87 ff.
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